Dazwischen acht Olympiaden
Abiturfeier mit ambitioniertem Programm vor gut gefülltem Festsaal des Bergischen Löwens, Backstage flimmert ein aufgetriebener 15-Zoll-Röhrenfernseher. Der Empfang über die schon damals anachronistische Zimmerantenne ist schlecht und der Röhre Eigenschaft, eine Menschentraube oszillierender Größe eine zeitlang vor sich zu fesseln, verfliegt spätestens in dem Moment, in dem die Mitabiturientin im dänischen Trikot mit der “2“ und die im deutschen wieder mit der “0” auf die Bühne geschickt wurden, um das Publikum wenigstens sporadisch über das Spielgeschehen auf dem Laufenden zu halten. Mir selbst war das Turnier ‘92 so schnurz, wie meinen Kindern das gegenwärtige und wenn ich mich nicht täusche, habe ich kein einziges seiner Spiele über mehr als 10 Minuten verfolgt.
Für uns gab es ja so genug zu tun, auch wenn die Prüfungen schon durch waren. Die Abizeitung musste finalisiert werden, die Feier im Allgemeinen geplant und im Besonderen sollte ich als Beitrag unseres Deutsch-Leistungskurses ein Theaterstück schreiben, für das man mir freie Hand ließ. Heraus kam ein launiges, aber letztlich doch recht wohlwollend aufgenommenes Kurzstück mit Auftritten von Kafkas K., Kleists Prinz Friedrich von Homburg, Schillers Don Carlos, Büchners Lena und Hölderlins Hyperion. Dazu komponierte ich einen antiken Chor, der die handelnden Personen fortwährend auf das Verbot von unserer Deutschlehrerin geächteten Wörter (beinhalten! somit! wobei!) aufmerksam machte. Gut, viel mehr als ein paar Arbeitsstunden habe ich da jetzt auch nicht reinstecken müssen, aber die Zeit sollte ja auch zum Feiern genutzt werden, was ich ausgiebig zu beherzigen wusste.
Gestern standen abermals die Dänen auf dem Programm, allerdings einen Tag zu spät für die Abi-Feier von K2 und sie gingen mit weitaus weniger Erfolg. Da meine K-Reihe mit der 2 als abgeschlossen betrachtet werden kann, bin ich nun, 32 Jahre nach meiner eigenen Feier, abermals die Bindungen an das schulische Ausbildungssytem inklusive seiner nicht an den Semesterrhytmus gekoppelten Schulferien losgeworden. Das ereignete sich nun etwas früher als geplant, als Baby hatte K2 noch einen Body mit “Abi 2026“ getragen. Doch in ihren Regierungsphasen hat die Landes-CDU erstens den Stichtag für die Einschulung verschoben, zweitens G8 eingeführt, meine beiden Ks durchgejagt und nachher wieder abgeschafft.
Zwei Jahre früher als gedacht die Fesseln der Schulzeit jetzt ein zweites und womöglich letztes Mal hinter mir lassen zu können, erfreut auf der einen Seite selbstredend ungemein. Auf der anderen aber realisierte ich, dass sich zwischen den beiden EM-Spielen gegen Dänemark 8*4 Jahre erstreckten und ich zu dem wurde, was ich damals noch im Publikum vor der Bühne wähnte – Abijahrgangs-Eltern-alt. Nun ist eine Errungenschaft des menschlichen Geistes, zumindest übergangsweise unerfreuliche Realitäten mit Simulakra der Einbildungskraft zu substituieren und so durfte ich in der Stunde, in der mir mein Alter hätte bewusst werden können, meinem Selbst auf dessen Feier begegnen. Die Welt hatte sich weiter gedreht und fing nun einen Teil von mir wieder ein. So konnten wir ein wenig gemeinsam erinnern, bevor es mich, nachdem die obligatorischen, aber selten guten Reden beim Festakt der Gegenwart ihr Ende fanden, wieder zu meiner Familie schickte. Bei aller mir eigenen Selbstbezüglichkeit war es doch nicht schwer einzusehen, dass hier nicht schon wieder ich gefeiert werden sollte.