Vor dem Anstoß
Anstehendes Männerfußballländerturnier und endlich mal wieder eins mit nicht zu negativem Vorgeplänkel, hervorgerufen durch Austragungsort oder Pandemiefortdauer. Vorfreude bei mir dennoch eher so eingeschränkt, weil ich gar nicht mehr weiß, wie es ist, einigermaßen unbeschwert ein Turnier einfach nur zu verfolgen. So lange ist das schon her, dass man das konnte. Gröhlende Schweizer Fans im Restaurant auf der Straßenecke schräg unterm Balkon sind nun auch eher keine guten Launeförderer. Dabei geht meine allgemeine Gesellschaftstheorie doch davon aus, dass gute Laune eines der besten Mittel gegen gesellschaftliche Spaltung bereitstellt. Viele Anhänger scheint diese allerdings nicht zu haben, meine (durch das Twitter-Aus doch sehr in Mitleidenschaft gezogene) soziale Medienwelt ist jedenfalls von Leuten, die ihre Anstrengungen offenbar genau in die entgegengesetzte Richtung unternehmen. Aber ich will mich hier nicht wiederholen, auch wenn das bizarre Wahlergebnis von letzter Woche mit meiner “Analyse“ so grob auf Linie liegt.
Dass allenthalben die Hoffnung auf ein erneutes Sommermärchen geäußert wird, stimmt mich insofern positiv, als dass noch nicht alle noch nicht alles abgeschrieben haben. Ob man seine frommen Wünsche nun an ein Männerfußballländerturnier tackern sollte, sei mal dahingestellt, aber hey, wenn die Chance besteht, dass es einen erklecklichen Teil der Bevölkerung dabei hilft, diesem eingeredeten fatalistischen Dauerkrisenmodus zu entfliehen - warum nicht?
Für meinen Teil gehe ich relativ uninformiert und ohne große Erwartungen in das Eröffnungsspiel heute Abend. Ich hoffe, dass sich das Turnier nicht zu holzschnittartig entwickelt und vor auch, dass Turnierfavoriten Frankreich und England mich nicht wieder enttäuschen. Deschamps Frankreich könnte seine fantastischen Möglichkeiten mal dazu einsetzen, das Spiel zu spielen und sich nicht darauf zu verlassen, dass man mit irgendwie auf Mbappé geschlagene Bälle das Turnier schon gewinnen wird. Und Southgates England könnte mit ähnlich großen Fähigkeiten mal den Defensivstock einmotten, an den man sich seit ein paar Jahren fest angebunden hat. Die deutsche Mannschaft bleibt mir eine Wundertüte. Gelingt es dieses Mal, die defensive Balance zu finden? Oder wird die hinfällig, weil die klaffenden Scheunentore durch ein offensives Feuerwerk mehr als wettgemacht werden? Finden sich die beiden Meisterstrategen Kroos und Gündogan bei der letzten Gelegenheit, gemeinsam Großes zu vollbringen? Verwirbeln die beiden Zauberlehrlinge weiter vorne die gegnerischen Abwehrreihen oder doch nur sich gegenseitig? Seziert Havertz oder bumst Füllkrug? Was kann Nagelsmann und wenn ja, muss das überhaupt abgerufen werden? Gibt es wieder Kleine im Fußball? Die Fragen sind offen, der Vorhang zuckt.